Guernsey
Während Jersey im Inselnorden seine windigen Steilufer hat und nach Süden hin flacher wird, ist dies auf Guernsey genau umgekehrt. Daher sind Surfer auf Guernsey im Norden auf dem Meer, und die Klippenwanderwege im Süden sind nicht so zugig. Die schmalen Cliff Paths führen hier wie dort jedoch nicht einfach am oberen Klippensaum entlang. Stattdessen sind sie mit vielen und oft hohen Treppenstufen in einem ständigen Wechsel aus bergan und bergab angelegt. Anstrengend. Zwischendrin gibt es aber immer wieder Bänke, auf denen man sich ausruhen kann. Auch den ein oder anderen Bunker gibt es zu besichtigen, von den vielen, die die Deutschen hier zwischen 1940 und 1945 von Kriegsgefangenen errichten ließen.
Besetzung von Guernsey 1940 – 1945 (nach einer Infotafel im Guernsey Museum)
Nachdem Frankreich im Juni 1940 vor Nazi-Deutschland kapitulierte, sah sich die britische Regierung nicht in der Lage, die Kanalinseln zu verteidigen. 17.000 Menschen wurden schnell nach England evakuiert, aber 25.000 blieben zurück. Am 28. Juni bombardierte die deutsche Luftwaffe den Hafen von St. Peter Port. 23 Menschen wurden getötet. Am 30. Juni landete ein deutsches Flugzeug auf dem Flughafen Guernsey und fand die Insel unverteidigt vor. Am folgenden Tag begannen die Deutschen mit der Besetzung. Sie schifften an die 37.000 Soldaten, Artillerie, Flugzeuge, Schiffe und Panzer heran. Zwangsarbeiter aus Osteuropa mussten an den Inselufern Betonbunker errichten. Zeitungen druckten deutsche Propaganda. Die schöne Bibliothek in St. Peter Port hatte „antideutsche“ Bücher gegen Strafandrohung zu entfernen.
Wer es wagte, sich zu widersetzen, kam ins Gefängnis. Einige starben dort. Drei jüdische Frauen wurden nach Auschwitz deportiert. Radios wurden beschlagnahmt und an den Stränden Minen vergraben. Angelboote durften nur noch mit einer Wache an Bord hinausfahren, damit die Fischer nicht fliehen konnten. Etwa 2.000 gebürtige Kanalinsulaner als auch Bewohner, die in den britischen Streitkräften gedient hatten, kamen in Lager nach Deutschland. Für die Zurückgebliebenen wurde das Essen knapp. Genauso unmöglich, Ersatz für Alltagsgegenstände wie bspw. Fahrradreifen zu bekommen.
Im Juni 1944 fielen die Alliierten in der Normandie ein. Von einem Tag auf den anderen waren die deutschen Truppen auf Guernsey und Jersey von der Versorgung mit Nahrung, Arznei oder Heizkohle abgeschnitten. Im letzten Kriegsjahr waren Insulaner wie Besatzer kurz vorm Verhungern. Seetang war das Letzte, was zu essen übrig blieb. Lebensmittelpakete des Schiffes „Vega“ vom Roten Kreuz retteten die Menschen vor dem Verhungern. Am 9. Mai 1945, ein Tag, nachdem der Krieg in Europa beendet worden war, erlangten britische Soldaten die Kontrolle über Guernsey zurück. Dieser Tag wird alljährlich als Tag der Befreiung gefeiert.
Tourismus auf Guernsey rangiert unter »ferner liefen«
In der Regel haben Touristen vor ihrem Guernsey-Besuch auch Jersey schon kennen gelernt und stellen automatisch einen Vergleich zwischen den beiden Kanalinseln an. Jeder wird Guernseys Inselhauptstadt St. Peter Port sehr viel hübscher finden, weil der faszinierende Mix an Architekturstilen von Georgianisch bis Regency bis Pariser Flair an keiner Stelle durch hässliche Hochhäuser verunziert wird. Auf Jersey ist durch moderne Bauten viel des Altstadtcharmes verloren gegangen. Besonders die glänzenden Türme der Banken fallen in Saint Helier ins Auge. Doch daraus zu schließen, die Finanzindustrie sei auf Jersey noch bedeutender als auf Guernsey, wäre falsch, ganz im Gegenteil.
Auf Guernsey werden fast 75 Prozent des BSP durch diese Branche erwirtschaftet. Der Tourismus macht gerade einmal drei Prozent aus. Begonnen hat diese Entwicklung vor rund 35 Jahren. Damals endete die lange Ära, in der die meisten Menschen auf Guernsey vom Tomatenanbau lebten. Aus dieser Zeit stammt die Vielzahl an Gewächshäusern, die man auf der Insel sieht – die meisten davon im Verfall begriffen. Die berühmte Guernsey-Tomate, aber auch die Guernsey-Erdbeeren waren lange Exportschlager gewesen, bis ihr EU-Tomaten aus Holland und Erdbeeren aus Spanien in die Quere kamen, die Großbritannien viel billiger importieren konnte.
Was ein Glück, dass die Finanzindustrie zeitgleich nach neuen Offshore-Handelsplätzen suchte und auf den Kanalinseln fündig wurde. Eine Bank nach der anderen ließ sich auf Guernsey nieder. Jeder fand hier Arbeit, auch die Tomatenbauern. Einheimische wurden bevorzugt, auch ohne einschlägige Qualifikation. Jahrzehntelang fand hier jeder einen Job. Viele wechselten schon nach der zehnten Klasse in die Bank. Möglich, dass sich das ändert, denn Großbritannien kann nach dem Brexit kein Veto mehr einlegen, wenn die EU Jersey und Guernsey als Steueroasen mit wirtschaftlichen Sanktionen droht.
Reiseziel für kulturell interessierte Aktiv-Urlauber
Anders als auf Jersey bietet das Tourist Office in St. Peter Port einige seiner kostenlosen Broschüren sogar auf Deutsch an, darunter Wanderkarten, eine Übersicht über die verkehrsberuhigten Routes Tranquilles und Tourenvorschläge, wenn man die Insel per Rad erkunden möchte. Zutritt zu ein paar herrlichen Privatgärten erhält man auf einer deutschsprachig geführten Inselrundfahrt mit Kai-Uwe. Bei seiner Apfel-und-Blumen-Tour wird auch eine Apfelfarm besichtigt, auf der nicht nur Cider, auch Apfel-Chutney, diverse Weine und Höherprozentiges gekostet werden können. Einst war die Produktion von Apfelwein in Guernsey weit verbreitet. Fast alle Bauernhöfe auf der Insel hatten einen Apfelgarten. Kai-Uwe weiß wirklich sehr viel über Guernsey und steht bei jeder Frage Rede und Antwort.
Wenn Guernsey auf den ersten Blick auch klein erscheint – eine Woche ist fast zu wenig, um die Insel und alles, was sie an historischen, kulturellen und landschaftlichen Sehenswürdigkeiten bietet, kennen zu lernen. In den schönen Buchten verstecken sich tolle Strände, wobei die Südküste besonders auch zum Kajakfahren, Wandern oder Coasteering einlädt, letzteres eine Fun-Sportart, bei der man behelmt und in wasserfesten Schutzanzügen Klippen quasi quer erkraxelt. Und schon allein weil Herm und Sark so nah liegen, sollte ein Ausflug auch auf diese beiden Inselchen nicht fehlen.